Eine legende lebt!
Eine Legende lebt – unterwegs mit dem Cannondale Scalpel Team 2002
Es gibt Bikes, die mehr sind als nur Sportgeräte. Sie sind Ikonen, Wegbereiter, fast schon Kultobjekte. Das Cannondale Scalpel gehört genau in diese Kategorie. Als es 2001 erstmals auf den Markt kam, wirkte es wie ein technischer Paukenschlag: ein ultraleichter Aluminiumrahmen, die futuristische Lefty-Einarmgabel und ein Hinterbau, der dank flexender Carbonstreben auf Drehpunkte verzichtete. Für viele Profis war es das Signal, ihre Hardtails in den Keller zu stellen – und auf Vollfederung im Cross-Country-Weltcup zu setzen.
Dass das Konzept aufging, zeigten die großen Namen im Volvo–Cannondale Team. Fahrer wie Tinker Juarez oder Cadel Evans stellten das Scalpel auf die härtesten Rennstrecken der Welt und prägten damit das sportliche Bild einer ganzen Ära. Mit seinen 100 Millimetern Federweg, einer Hybridkonstruktion aus Aluminium und Carbon, Scheibenbremsen und sogar tubeless-kompatiblen Laufrädern war das Scalpel seiner Zeit weit voraus.
Fast 25 Jahre später stolpere ich auf eBay-Kleinanzeigen über ein Exemplar, das aussieht, als hätte es die Zeitreise fast unbeschadet überstanden: weiß-blaue Teamfarben, kaum Kratzer, originale Shimano XTR 950 Gruppe und die legendäre Lefty ELO – deren elektronische Blockierfunktion natürlich, wie bei fast allen damaligen Modellen, ihren Dienst längst verweigert. Für mich steht fest: Dieses Rad muss auf die Trails zurück.
Das Ziel ist klar: so viel Originalität wie möglich bewahren, aber die Maschine fit machen für heutige Events. Mit 11,4 Kilogramm inklusive Pedale ist das Scalpel schon nicht schlecht aufgestellt – doch ich will die magische 10-Kilo-Marke knacken.
Bei EightyAid bekommt die Lefty eine Frischzellenkur. Die ELO-Einheit fliegt raus, die Mechanik läuft wieder wie am ersten Tag. Dann geht es ans Feintuning: Mit Tune-Komponenten bei Lenker, Sattel und Stütze purzeln über 300 Gramm. Tubeless-Umbau bei den Laufrädern, Umwerfer und großes Kettenblatt runter – und plötzlich steht da ein 9,9-Kilo-Bike auf der Waage. Mission erfüllt.
Der erste Härtetest folgt im September bei der CTF in Bad Homburg: 60 Kilometer, 1.300 Höhenmeter durch den Taunus. Auf den knackigen Anstiegen zeigt das Scalpel, dass es seine Gene nicht vergessen hat. Mit 29er-Kettenblatt und 36er Kassette klettert es erstaunlich effizient. Auf schnellen Abfahrten wird klar: Moderne Fullys fahren noch einmal eine andere Liga – aber im Flow bleibt das Scalpel souverän. Danach noch 100 Kilometer Heimweg auf Asphalt: selbst als Langstreckenrad überzeugt es.
Mein Fazit nach diesem Comeback ist eindeutig: Das Scalpel mag über 20 Jahre alt sein, aber „altes Eisen“ ist es noch lange nicht. Leicht, agil und technisch immer noch faszinierend – ein Stück Mountainbike-Geschichte, das sich auch heute noch behauptet. Nächste Station? Vielleicht die Salzkammergut Trophy oder der legendäre Grand Raid BCVS. Dieses Bike hat seine zweite Karriere gerade erst begonnen.
Timo Rokitta
